
Franz Gutmanns "Windsbraut" wurde installiert
Neues Kunstwerk im öffentlichen Raum am Ostgiebel der Belchenhalle
Die Künstler, die für wesentliche Entwicklungen in der Kunst des 20. Jahrhunderts stehen und zu denen neben Ewald Mataré (1887-1965), einem der Lehrer des Bildhauers Prof. Franz Gutmann (* 1928), Max Ernst (1891-1976) und Joseph Beuys (1921-1986) stehen, zeichnen sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie niemals rein dekorativ arbeiteten. So ‚leicht‘ oder ‚einfach‘ ihre Werke häufig wirken, so stecken doch durchweg existentielle Erfahrungen dahinter. Bei Max Ernst war es u.a. die Begegnung mit der Wüste Arizonas, wo er beispielsweise die berühmte Figurengruppe Capricorn (1948) schuf, bei Joseph Beuys war es sein legendärer Flugzeugabsturz in den Weiten Sibiriens und seine Rettung durch Tartaren, auf die seine häufige Verwendung von Filz, Fett und Honig für seine späteren Installationen zurückgeht. Für Franz Gutmann ist der Schwarzwald eine vergleichbare Quelle seiner Inspiration, in den er sich bis heute so tief hinein begeben hat, wie es nur möglich war.
Dort schuf er neben vielen anderen Werken mehrere Versionen der „Windsbraut“, die nun am östlichen Giebel der Staufener Belchenhalle zu sehen ist.
Erste Überlegungen, die „Große Windsbraut“ nach Staufen zu holen, wurden Ende 2018 angestellt. Weil wegen geplanter baulicher Veränderungen an der Hochschule in Esslingen, wo die Bronzefigur mit Edelstahlrohr im Jahr 1978 aufgestellt worden war, abgebaut werden musste, hatte man sich auf die Suche nach einem neuen, geeigneten Standort begeben. Über den Kontakt von Prof. Franz Gutmann zu Elmar Bernauer wurde dem Bürgermeister und dem Gemeinderat in Staufen vorgeschlagen, die „Windsbraut“ an der Belchenhalle anzubringen. Nach der entsprechenden Entscheidung wurde mit dem Amt für Vermögen und Bau Baden-Württemberg ein Dauerleihvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg als Eigentümerin und der Stadt Staufen abgeschlossen und die Skulptur am 9. Februar 2023 an ihrem neuen Ort montiert.
In der Gestalt der Windsbraut verbinden sich Züge der germanischen und der griechischen Mythologie. Sie wurde sowohl in der Literatur (T. C. Boyle) als auch in der bildenden Kunst (u. a. Oskar Kokoschka, Max Ernst, Gerhard Olbrich) aufgenommen und zählt zu den weit verbreiteten Gestalten im kollektiven Bewusstsein. Sie personifiziert eine ungestüme, unzähmbare, unberechenbare Gewalt, die in der griechischen Version der Geschichte die Menschen in die Unterwelt entführte und dort folterte.
Die Gutmann’sche Version der „Windsbraut“ ist allerdings sehr selbstbezogen, wie in sich versunken. Sie ist mit Ausnahme des hinteren Fußes, an dem sie an die Haltestange montiert ist, in einem Ballett-Sprung fixiert, in dem sie zwar ihre mit künstlerischen Mitteln betonten, weiblichen Reize voll ausspielt, allerdings keinen konkreten Adressaten im Blick zu haben scheint. Der Titel jedoch lenkt das Augenmerk auf den unfehlbar dramatischen Aspekt der Windsbraut, der sich mit dem Mythos der femme fatale verknüpft, der „verhängnisbringenden Frau“. Er begegnet bereits in Heinrich Heines Gedicht über die Lorelei („Ich glaube, die Wellen verschlingen/Am Ende Schiffer und Kahn;/Und das hat mit ihrem Singen/Die Lorelei getan.“). Auch hier ist es die Schönheit einer Frau bzw. ihre künstlerische Selbstinszenierung, die den Mann ins Verderben stürzt. Häufiger wird in der abendländischen Kunstgeschichte dieser Gedanke mit der biblischen Figur der Salome verknüpft, die mit ihrem Tanz vor König Herodes den Tod des Täufers Johannes erkaufte.
Will man mit einer Deutung nicht so weit gehen, kann man in der „Windsbraut“ am Dach der Belchenhalle auch einfach das sehen, was sie – auch – ist: eine Wetterfahne, die sich mit dem Wind dreht. Eine solche Sicht passt schließlich gut zur germanischen Mythologie, die mit der Windsbraut eher auf die elementare Kraft des Windes anspielt.
(Elmar Bernauer, Christof Diedrichs)